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Zeitzeugenbesuch einer Überlebenden des KZ Theresienstadt

Am 27.05.2019 fand für die neunten Klassen des Solitude-Gymnasiums in Stuttgart Weilimdorf ein Zeitzeugengespräch mit Liesel Binzer statt, einer der wenigen Shoa-Überlebenden. Dafür nahm die 82-Jährige den Weg von Frankfurt auf sich, um ihre Herzensangelegenheit, uns ihre Geschichte zu erzählen, in Kooperation mit dem Projekt „Zeugen der Zeitzeugen“ zu verwirklichen. Ziel dieses Projektes, das sich ausschließlich über Spenden finanziert, ist, durch die Überlebenden das Gedenken an den Holocaust an die junge Generation weiterzugeben und die einzigartigen und wertvollen Geschichten eines jeden Einzelnen weiterleben zu lassen.

Zunächst wurden wir über dieses wichtige Projekt im Allgemeinen informiert, bevor Liesel Binzer in einer Präsentation von ihrem Leben vor, im und nach dem Krieg erzählte. Liesel Binzer wurde als Sechsjährige in das Lager Theresienstadt deportiert und überlebte als eines von wenigen Kindern. Gespannt folgten alle ihren Worten, berührt von ihrer Geschichte und dem Schicksal all derer, die auf den vielen Bildern, die sie uns mitgebracht hatte, zu sehen waren. Junge Erwachsene, die mitten im Leben standen, Kinder, die erst wenige Jahre gelebt hatten. Die Zahlen aus dem Geschichtsbuch bekamen auf einmal Gesichter, Menschen, die ihr nahegestanden hatten, Menschen mit einer Persönlichkeit und jeweils einer eigenen Geschichte und eigenen Plänen für ihr Leben. Die meisten der Gezeigten wurden ermordet.

„Wir können die Vergangenheit nicht ändern, wohl aber die Zukunft gestalten“, so lautet Liesel Binzers Motto und Motivation, über ihre Erlebnisse zu berichten. Kaum zu glauben, wie optimistisch ein Mensch sein kann, dem so viel Grausames widerfahren ist. Natürlich nehme ihre Vergangenheit in ihrem Alltag auch heute noch eine große Rolle ein, erzählte sie, aber ihr Leben würde sehr bereichert durch ihre Kinder und sieben Enkel. Wir durften die einmalige Gelegenheit nutzen, ihr unsere Fragen zu stellen. Die Frage, ob sie finde, aus ihrem Leben noch etwas gemacht zu haben, bejahte die ehemalige Finanzbeamtin schnell. Sie habe noch in Theresienstadt heimlich lesen und schreiben gelernt und konnte so nach dem Krieg die Grundschule überspringen. Auch wenn sie es auf dem Gymnasium nicht immer leicht hatte, sei sie dankbar dafür, was trotz allem noch möglich gewesen ist. Umso beeindruckender, vergewissert man sich des Schicksals der Holocaust-Überlebenden.

Am Ende der Fragerunde zitierte Marina Müller, die das Projekt „Zeugen der Zeitzeugen“ leitet und Frau Binzer begleitete, den Schriftsteller und Shoa-Überlebenden Elie Wiesel: „Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“ Dass uns Liesel Binzers Schicksal – und durch sie auch stellvertretend jenes der vielen Ermordeten, die nicht mehr berichten können – nicht gleichgültig ist, dafür hat die Zeitzeugin sicher gesorgt.

An dieser Stelle danken wir Liesel Binzer noch einmal sehr herzlich für ihren Besuch und die Offenheit, mit uns über ihre Geschichte zu sprechen. Ich bin mir sicher, dass dieses einmalige Erlebnis uns noch lange in Erinnerung bleiben wird.

(Text: Anja Galm/Fotos: Flo Schmucker)

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